Fünf vor Zwölf: Wie Sie erkennen, dass Sie kurz vor dem Burnout stehen
Erschöpfung kennen wir alle. Nach einer harten Arbeitswoche oder einem intensiven Projekt ist es normal, müde zu sein. Doch was passiert, wenn die Müdigkeit nicht mehr weggeht? Wenn das Wochenende nicht mehr zur Erholung reicht und der Gedanke an den Montagmorgen körperliche Übelkeit auslöst?
Burnout ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein schleichender Prozess. Es ist wie ein Akku, der über Monate hinweg Tiefentladen wird, bis er gar keine Spannung mehr aufnehmen kann. Die Tragik liegt oft darin, dass Betroffene die Warnsignale erst ernst nehmen, wenn der totale Zusammenbruch bereits da ist.
Dabei gibt es eine kritische Phase – kurz vor dem „Point of no Return“ –, in der die Symptome so deutlich sind, dass sie eigentlich nicht mehr ignoriert werden dürften. Hier ist der Moment, die Notbremse zu ziehen. Doch wie erkennen Sie diesen Zustand?

Die drei Dimensionen des Burnouts
Um die Warnsignale richtig einzuordnen, hilft es, die drei Kernmerkmale eines Burnouts zu kennen, wie sie auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert werden:
- Tiefe Erschöpfung (energetisch leer).
- Zynismus und Distanzierung (negative Haltung zum Job).
- Verringerte Leistungsfähigkeit (subjektiv und objektiv).
Wenn Sie sich „kurz davor“ befinden, sind meist alle drei Dimensionen bereits spürbar, aber Sie „funktionieren“ noch – oft auf Autopilot.
Die Alarmglocken: 7 Anzeichen, dass die Notbremse fällig ist
Wenn Sie die folgenden Symptome bei sich wiedererkennen, sind Sie wahrscheinlich nicht mehr nur „gestresst“, sondern befinden sich in der Gefahrenzone.
1. Erholung funktioniert nicht mehr
Das ist das Kardinalsymptom. Sie schlafen am Wochenende zehn Stunden und fühlen sich am Montag immer noch wie gerädert. Urlaube bringen nur eine sehr kurzfristige Linderung. Wenn der Schlaf keine Erholung mehr bringt, ist das Stresssystem des Körpers dauerhaft überaktiviert (hoher Cortisolspiegel). Der „Akku“ ist defekt.
2. Zynismus hat Ihre Motivation ersetzt
Früher haben Sie Ihren Job vielleicht gemocht oder zumindest einen Sinn darin gesehen. Jetzt ertappen Sie sich bei Gedanken wie: „Es ist doch eh alles egal“, „Sollen die doch sehen, wie sie klarkommen“ oder „Ich mache nur noch Dienst nach Vorschrift“. Diese Depersonalisierung ist ein Schutzmechanismus der Psyche. Um den Schmerz der Überforderung nicht zu spüren, bauen Sie eine emotionale Mauer auf. Sie werden gleichgültig gegenüber Kunden, Kollegen oder Patienten.
3. Kleine Aufgaben fühlen sich an wie Mount Everest
Dinge, die Sie früher in 15 Minuten erledigt haben – eine E-Mail beantworten, einen kurzen Anruf tätigen –, kosten Sie plötzlich unverhältnismäßig viel Kraft. Sie schieben diese Aufgaben tagelang vor sich her. Die sogenannte Exekutivfunktion des Gehirns (Planen, Entscheiden, Anfangen) ist durch den Dauerstress beeinträchtigt.
4. Sozialer Rückzug (Isolation)
Sie haben keine Energie mehr für Freunde oder Hobbys. Nach der Arbeit wollen Sie nur noch Ihre Ruhe. Einladungen werden als zusätzliche Belastung empfunden. Sie igeln sich ein. Das ist gefährlich, da Ihnen damit wichtige Ressourcen zum Stressabbau verloren gehen.
5. Körperliche Warnschüsse (Psychosomatik)
Der Körper zieht die Notbremse oft vor dem Verstand. Wenn Sie „nicht hören wollen“, sendet er stärkere Signale:
- Tinnitus oder Hörsturz
- Unerklärliche Rückenschmerzen oder Muskelverspannungen
- Magen-Darm-Probleme (Reizdarm)
- Herzrasen oder Engegefühl in der Brust (Achtung: Dies sollte immer auch ärztlich abgeklärt werden!)
- Erhöhte Infektanfälligkeit
6. „Brain Fog“ und Konzentrationsstörungen
Sie lesen eine E-Mail dreimal und wissen immer noch nicht, was drinsteht. Sie vergessen Absprachen oder machen Flüchtigkeitsfehler, die Ihnen früher nie passiert wären. Ihr Gehirn ist im Überlebensmodus und schaltet „nicht überlebenswichtige“ Funktionen wie komplexe Konzentration ab.
7. Das Gefühl der Fremdbestimmung
Sie fühlen sich nur noch als Getriebener. Sie agieren nicht mehr, Sie reagieren nur noch auf Anforderungen von außen. Das Gefühl, die Kontrolle über das eigene Leben verloren zu haben, ist ein sehr spätes und ernstes Warnsignal.
Warum wir die Notbremse oft zu spät ziehen
Vielen Menschen fällt es extrem schwer, sich einzugestehen, dass es nicht mehr geht. Dafür gibt es meist tiefsitzende Gründe:
Der „Leistungs-Glaubenssatz“: Viele von uns haben verinnerlicht, dass man nur wertvoll ist, wenn man leistet. Eine Pause fühlt sich wie Versagen an.
Die „Nur noch diese eine Woche“-Falle: Wir reden uns ein, dass es besser wird, wenn Projekt X abgeschlossen ist. Doch danach kommt direkt Projekt Y.
Falsche Scham: Wir haben Angst, als „schwach“ oder „nicht belastbar“ zu gelten, besonders in kompetitiven Arbeitsumfeldern.
Die Notbremse ziehen: Was heißt das konkret?
Wenn Sie merken, dass Sie kurz vor dem Abgrund stehen, hilft kein „bisschen kürzertreten“ mehr. Eine Notbremse ist eine Vollbremsung.
- Akzeptanz: Der wichtigste Schritt ist das Eingeständnis: „Ich kann nicht mehr, und wenn ich so weitermache, werde ich krank.“ Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von erwachsener Selbstfürsorge.
- Ärztliche Hilfe: Gehen Sie zu Ihrem Hausarzt. Schildern Sie offen Ihre Symptome – nicht nur die körperlichen, sondern auch die psychische Erschöpfung. Eine Krankschreibung ist oft notwendig, um den Teufelskreis sofort zu durchbrechen und Abstand zu gewinnen.
- Radikale Entlastung: Sagen Sie alles ab, was nicht lebensnotwendig ist. Keine Zusatzprojekte, keine sozialen Verpflichtungen, die Sie stressen.
- Professionelle Unterstützung: Ein Coach oder Psychotherapeut kann helfen, die Muster zu erkennen, die in den Burnout geführt haben (z.B. Perfektionismus, Unfähigkeit „Nein“ zu sagen), damit Sie nach der Pause nicht sofort wieder in dieselbe Falle tappen.
Gehen Sie zu Ihrem Vorgesetzten
Dieses Gespräch kostet oft am meisten Überwindung. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt. Wichtig: Sie müssen rechtlich keine Diagnose nennen. Es ist eine strategische Entscheidung, wie offen Sie sind.
Strategie A: Das präventive Gespräch (bevor Sie ausfallen)
Wenn Sie ein gutes Verhältnis zu Ihrem Chef haben und glauben, dass das Unternehmen lösungsorientiert ist, können Sie das Gespräch suchen, bevor die Notbremse nötig ist.
- Ziel definieren: Was wollen Sie erreichen? Reduzierung der Projekte? Keine Überstunden mehr? Unterstützung durch einen Assistenten?
- Fokus auf Leistungsfähigkeit: Argumentieren Sie aus Sicht des Unternehmens. „Ich merke, dass meine Leistungsfähigkeit und Konzentration gerade stark nachlassen. Damit ich nicht langfristig ausfalle, müssen wir jetzt etwas an meiner Belastung ändern.“
- Konkrete Vorschläge machen: Kommen Sie nicht nur mit Problemen, sondern idealerweise mit ersten Lösungsideen (z.B. „Projekt X müsste jemand anderes übernehmen“).
Strategie B: Das Akut-Gespräch (wenn Sie ausfallen)
Wenn Sie bereits beim Arzt waren und krankgeschrieben sind, müssen Sie Ihren Arbeitgeber informieren.
- Rechtliche Lage kennen: Sie müssen nur mitteilen, dass Sie krank sind und wie lange voraussichtlich. Sie müssen nicht sagen, was Sie haben.
- Die „Krankmeldung“:
Option 1 (Verschlossen): „Ich bin krank und falle voraussichtlich bis [Datum] aus.“ (Ihr gutes Recht, besonders bei schwierigen Chefs).
Option 2 (Offen, aber geschützt): „Es hat mich jetzt leider erwischt und ich falle länger aus. Ich muss dringend wieder auf die Beine kommen.“ (Signalisiert Ernsthaftigkeit, ohne das Wort „Burnout“ zu nutzen, das leider manchmal stigmatisiert ist).
Grenzen setzen: Wenn Sie krankgeschrieben sind, arbeiten Sie nicht. Punkt. Keine „kleinen Mails“, keine „kurzen Telefonate“. Teilen Sie das freundlich, aber bestimmt mit: „Ich werde in dieser Zeit nicht erreichbar sein, um mich vollständig auf meine Genesung zu konzentrieren.“
Suchen Sie das Gespräch mit einem Arzt
Der Arzt (meist der Hausarzt als erste Anlaufstelle) ist Ihr wichtigster Verbündeter. Er kann die medizinische Notbremse ziehen (Krankschreibung) und weitere Schritte (Überweisung zum Psychotherapeuten/Psychiater) einleiten.
1. Vorbereitung zu Hause
Ärzte haben oft wenig Zeit. Je präziser Sie Ihre Situation schildern, desto besser können sie Ihnen helfen.
- Symptom-Liste schreiben: Verlassen Sie sich nicht auf Ihr Gedächtnis. In der Stresssituation der Praxis vergisst man oft die Hälfte. Notieren Sie vorab:
- Körperlich: Schlafstörungen (Einschlafen? Durchschlafen?), Herzrasen, Magenprobleme, Kopfschmerzen, Tinnitus, permanente Müdigkeit.
- Psychisch: Antriebslosigkeit, ständiges Grübeln, Weinanfälle, Gefühl der Sinnlosigkeit, Angstzustände vor der Arbeit, Gereiztheit.
- Kognitiv: Konzentrationsfehler, Vergesslichkeit, „Nebel im Kopf“.
- Konkrete Beispiele notieren: Statt nur zu sagen „Ich bin gestresst“, sagen Sie: „Ich habe gestern 20 Minuten auf meinen Bildschirm gestarrt und wusste nicht mehr, wie ich die E-Mail anfangen soll“ oder „Ich fange sonntags ab 16 Uhr an zu weinen, weil ich an Montag denke.“ Das macht das Ausmaß der Beeinträchtigung greifbar.
- Dauer und Verlauf: Seit wann geht das so? Hat es sich in letzter Zeit verschlimmert?
2. Im Gespräch mit dem Arzt
- Seien Sie radikal ehrlich: Spielen Sie nichts herunter. Sagen Sie nicht „Es geht schon irgendwie“, wenn es nicht mehr geht. Wenn Sie nicht mehr können, sagen Sie: „Ich kann nicht mehr. Ich bin am Ende meiner Kräfte.“
- Fordern Sie Hilfe ein: Wenn Sie das Gefühl haben, Sie brauchen eine Auszeit, trauen Sie sich, das anzusprechen: „Ich glaube, ich brauche eine Pause, um nicht komplett zusammenzubrechen. Können Sie mich krankschreiben?“
- Nehmen Sie die Krankschreibung an: Viele Patienten versuchen, mit dem Arzt zu verhandeln („Nur drei Tage“). Wenn der Arzt zwei Wochen vorschlägt, hat das einen Grund. Nehmen Sie es an.
Fazit
Ein Burnout ist eine langwierige, oft monatelange oder jahrelange Erkrankung. Die Zeit kurz davor ist Ihre letzte Chance, diese lange Leidenszeit abzukürzen. Es ist besser, jetzt für vier Wochen die Notbremse zu ziehen, als später für ein Jahr komplett auszufallen. Hören Sie auf die Signale – Ihr Körper und Ihre Psyche meinen es gut mit Ihnen
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