KI-Training und der globale Kampf um das Urheberrecht
Der unsichtbare Treibstoff der KI
Wenn wir Werkzeuge wie ChatGPT, Gemini oder Midjourney benutzen, wirkt es oft wie Magie. Aus einer einfachen Texteingabe entstehen komplexe Aufsätze, Gedichte oder fotorealistische Bilder. Doch diese „künstliche“ Kreativität kommt nicht aus dem Nichts. Sie basiert auf einem Fundament aus menschlicher Kreativität: dem kollektiven Wissen und Schaffen der Menschheit, das im Internet verfügbar ist.
Große Sprach- und Bildmodelle sind nur so gut wie die Daten, mit denen sie trainiert wurden. Um diese Modelle zu bauen, haben Unternehmen wie OpenAI, Google oder Stability AI das Internet im Petabyte-Maßstab „gelesen“ – Bücher, Artikel, Blog-Posts, Kunstwerke, Fotos und Code.
Genau dieser Prozess – das Training – hat eine globale juristische und ethische Lawine losgetreten. Die Kernfrage: Ist es legal, urheberrechtlich geschützte Werke ohne Erlaubnis und ohne Vergütung zum Training einer kommerziellen KI zu verwenden, die am Ende womöglich die Urheber selbst ersetzt?

Das technische Problem: Wie eine KI „lernt“
Um die rechtliche Debatte zu verstehen, muss man den technischen Prozess kennen. Das Training einer KI ist kein Kopiervorgang, wie wir ihn vom Computer kennen.
Datenerfassung (Scraping): Zuerst werden riesige Datenmengen gesammelt. Bei Textmodellen geschieht dies oft durch „Web-Scraping“, bei dem Bots automatisch das öffentliche Internet durchforsten und Texte abspeichern (z. B. im Datensatz „Common Crawl“). Bei Bildmodellen wurden Datensätze wie „LAION“ genutzt, die Milliarden von Bildern und deren Textbeschreibungen aus dem Netz sammelten.
Das Training (Der „Lernprozess“): Die KI „liest“ diese Daten nicht wie ein Mensch. Stattdessen analysiert sie statistische Muster, Zusammenhänge, stilistische Merkmale und semantische Beziehungen. Sie lernt, „welches Wort am wahrscheinlichsten auf ein anderes folgt“ oder „welche Pixelmuster mit dem Wort ‚Katze‘ assoziiert sind“.
Das Ergebnis (Das Modell): Das Endprodukt – das KI-Modell – ist ein gigantisches neuronales Netz, das aus Milliarden von „Parametern“ (mathematischen Werten) besteht. Diese Parameter repräsentieren das gelernte Wissen. Das Modell enthält nicht die Originalwerke selbst, sondern die Muster, die es aus ihnen abstrahiert hat.
- Die KI-Firmen argumentieren: „Das ist wie ein Mensch, der in eine Bibliothek geht, Tausende Bücher liest und dann lernt, selbst zu schreiben. Der Mensch kopiert die Bücher nicht, er lernt.“
- Die Urheber argumentieren: „Nein, es ist, als würde man Tausende Bücher verpulvern, um daraus ein neues Buch zu pressen – ohne die Autoren zu fragen oder zu bezahlen.“
Die Rechtsfronten: „Fair Use“ vs. „Text and Data Mining“
Der juristische Kampf wird an zwei Hauptfronten mit unterschiedlichen Waffengattungen geführt, primär in den USA und der EU.
A) Die US-Front: Der „Fair Use“-Doktrin
In den USA ist der entscheidende Faktor die „Fair Use“-Doktrin. Sie erlaubt die Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material unter bestimmten Umständen. Ob etwas „Fair Use“ ist, wird anhand von vier Faktoren entschieden:
- Zweck und Charakter der Nutzung: (Der wichtigste Punkt) Ist die Nutzung „transformativ“? Schafft sie etwas Neues mit einem neuen Zweck, oder ersetzt sie nur das Original?
- Art des urheberrechtlich geschützten Werks: (Kreative Werke genießen mehr Schutz als Sachtexte).
- Umfang der Nutzung: (Es wurde das gesamte Werk genutzt, nicht nur ein Zitat).
- Auswirkung auf den Markt: (Schädigt die KI den Markt für das Originalwerk? Ja, sagen die Künstler, da die KI sie ersetzt).
KI-Firmen sagen: Ja, es ist hochgradig transformativ. Ein KI-Modell ist kein Buch und keine Bildersammlung, sondern ein völlig neues Werkzeug, das Muster gelernt hat.
Urheber sagen: Nein, es ist nicht transformativ, wenn das Ergebnis (z. B. ein Bild im Stil von Künstler X) direkt mit dem Werk von Künstler X konkurriert.
B) Die EU-Front: Die „Text and Data Mining“-Schranke
In der EU ist die Rechtslage weniger flexibel und stärker durch Richtlinien geregelt. Relevant ist hier die Urheberrechts-Richtlinie (DSMD) von 2019. Sie enthält spezifische Ausnahmen (Schranken) für „Text and Data Mining“ (TDM).
- TDM für Forschung: TDM (also die automatisierte Analyse von Daten) ist für wissenschaftliche Forschungszwecke grundsätzlich erlaubt.
- Kommerzielles TDM: (Hier wird es kompliziert) TDM ist auch für kommerzielle Zwecke (wie das Training von ChatGPT) erlaubt, ABER: Rechteinhaber können dem widersprechen (ein „Opt-Out“ einlegen).
Dieser „Rechtsvorbehalt“ (Opt-Out) muss maschinenlesbar erfolgen, z. B. durch einen Eintrag in der robots.txt-Datei einer Website oder in den Metadaten. Viele KI-Firmen haben jedoch argumentiert, dass sie Daten gesammelt haben, bevor diese Regelung klar war oder bevor die Urheber wussten, dass sie widersprechen müssen.
Die großen Klagen: Wer kämpft gegen wen?
Diese theoretischen Konflikte werden derzeit in milliardenschweren Gerichtsverfahren in die Praxis umgesetzt.
Autoren vs. OpenAI (z.B. Authors Guild, George R.R. Martin): Autoren werfen OpenAI vor, ihre Bücher illegal zum Training von ChatGPT verwendet zu haben. Sie argumentieren, die KI könne nun Zusammenfassungen ihrer Bücher schreiben oder sogar Fortsetzungen in ihrem Stil verfassen, was direkt ihre Rechte verletze.
Künstler vs. Stability AI (z.B. Sarah Andersen, Getty Images): Bildgeneratoren wie Stable Diffusion wurden mit Milliarden von Bildern trainiert. Künstler klagen, weil die KI ihren einzigartigen Stil „gelernt“ hat und nun auf Knopfdruck Werke „im Stil von“ ihnen erstellen kann. Getty Images fand sogar Reste seines Wasserzeichens in KI-generierten Bildern, was beweist, dass ihre Datenbank genutzt wurde.
Verlage vs. KI (z.B. The New York Times vs. OpenAI/Microsoft): Dies ist vielleicht die stärkste Klage. Die NYT argumentiert nicht nur, dass ihre Artikel zum Training genutzt wurden, sondern auch, dass die KI (ChatGPT/Bing) ihre Artikel nun fast wörtlich wiedergeben kann („Regurgitation“). Dies untergräbt ihr Abo-Modell und stellt eine direkte Konkurrenz dar.
Das „Output-Problem“: Wenn die KI das Original ausspuckt
Selbst wenn das Training als legal angesehen würde (z.B. als „transformativ“), gibt es ein zweites urheberrechtliches Problem: der Output.
- Was passiert, wenn die KI ein Ergebnis generiert, das einem existierenden Werk „substanziell ähnlich“ ist?
- Wenn Midjourney ein Bild erstellt, das fast identisch mit einem Foto eines bestimmten Fotografen ist.
- Wenn ChatGPT Code ausspuckt, der 1:1 von einer GitHub-Seite kopiert wurde (inklusive der Kommentare des Original-Programmierers).
- Wenn eine KI Musik generiert, die klar die Melodie eines geschützten Songs enthält.
In diesen Fällen liegt eine klassische Urheberrechtsverletzung vor. Das Problem ist die Beweisbarkeit: Wie will ein Künstler beweisen, dass die KI ihr Bild nicht „zufällig“ ähnlich gemalt hat, sondern weil es auf ihrem Werk trainiert wurde? Die New York Times hat hier gute Karten, da sie diese „Regurgitation“ exakt nachweisen konnte.
Lösungsansätze und die Zukunft des Urheberrechts
Der Status Quo ist ein „Wildwest-Szenario“, das nicht haltbar ist. Verschiedene Lösungsmodelle werden derzeit diskutiert und teilweise schon umgesetzt:
Lizenzierungsmodelle (Der „Axel Springer-Weg“): Immer mehr Verlage und Rechteinhaber schließen Lizenzverträge mit KI-Firmen. OpenAI zahlt beispielsweise Axel Springer (Bild, Welt) oder Associated Press (AP) dafür, deren (aktuelle) Inhalte legal für das Training nutzen zu dürfen. Dies stellt sicher, dass die KI mit qualitativ hochwertigen Daten trainiert wird und die Urheber eine Vergütung erhalten.
Strikte „Opt-Out“-Systeme: Die Idee des „Opt-Out“ (Widerspruch) könnte zum Standard werden. Plattformen wie DeviantArt haben bereits Schalter eingeführt, mit denen Künstler ihre Werke vom KI-Training ausschließen können. Das Problem: Es ist schwer zu kontrollieren und gilt nicht rückwirkend für bereits trainierte Modelle.
Transparenzpflichten (Der „EU AI Act“): Neue Regulierungen wie der EU AI Act zielen auf Transparenz. KI-Anbieter müssen künftig offenlegen, welche urheberrechtlich geschützten Daten sie für das Training verwendet haben. Dies gibt den Urhebern zumindest die Möglichkeit, ihre Rechte (z.B. auf Vergütung) geltend zu machen.
Training mit „sauberen“ Daten: Einige Unternehmen (z.B. Adobe mit „Firefly“) gehen einen anderen Weg. Sie trainieren ihre Modelle ausschließlich mit Daten, die sie selbst lizenziert haben (z.B. aus ihrer eigenen Adobe Stock-Datenbank) oder die gemeinfrei (Public Domain) sind. Diese Modelle sind rechtlich „sauber“, aber oft weniger leistungsstark als die mit dem „ganzen Internet“ trainierten Konkurrenten.
Fazit
Der Konflikt zwischen KI-Entwicklern und Urhebern ist mehr als nur eine juristische Auseinandersetzung. Es ist eine fundamentale Verhandlung über den Wert von Daten und Kreativität im 21. Jahrhundert.
Die Gerichte und Gesetzgeber müssen eine schwierige Balance finden: Wie kann man Innovation fördern, ohne die Rechte und die wirtschaftliche Lebensgrundlage der Kreativen zu untergraben, deren Arbeit diese Innovation überhaupt erst möglich macht? Die Urteile in den kommenden Jahren werden die digitale Wirtschaft und die Art und Weise, wie wir Inhalte erstellen und konsumieren, für immer verändern.
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