Von der „Lücke“ zur Agilität: Warum der Zickzack-Lebenslauf die Zukunft ist
Jahrelang galt in Deutschland ein ungeschriebenes Gesetz: Ein Lebenslauf muss lückenlos sein, der Aufstieg linear, die Loyalität zum Arbeitgeber fast lebenslang. Wer „sprang“, galt als unbeständig. Wer eine Pause machte, musste sich rechtfertigen. Doch dieses Paradigma bröckelt. Willkommen im Zeitalter der Portfolio-Karriere.
In einer Arbeitswelt, die sich rasant wandelt, werden Brüche in der Biografie nicht mehr als Makel, sondern zunehmend als Indikator für Anpassungsfähigkeit (Agilität) und Mut gewertet.

Der Wandel: Warum „geradlinig“ ausgedient hat
Der klassische „Kaminkarriere“-Weg – Ausbildung, Einstieg, Aufstieg im selben Unternehmen bis zur Rente – passt selten zur Realität der digitalen Ökonomie. Unternehmen müssen heute agil sein, und sie suchen Mitarbeiter, die das auch sind.
Ein Lebenslauf mit vielen Stationen oder Phasen der Neuorientierung signalisiert heute oft:
- Hohe Lernbereitschaft: Der Kandidat hat sich in verschiedene Firmenkulturen und Software-Umgebungen eingearbeitet.
- Netzwerk-Kompetenz: Wer viel wechselt, kennt viele Leute und Perspektiven.
- Resilienz: Lücken (z.B. durch Sabbaticals, Pflegezeiten oder Jobverlust) und der Wiedereinstieg zeugen von Durchhaltevermögen.
In der modernen HR-Sichtweise wird aus dem „Job-Hopper“ ein „Experience-Collector“. Die Vielseitigkeit (Generalistentum) wird gegenüber dem reinen Spezialistentum aufgewertet.
Kündigungskultur in den USA vs. Deutschland
Um zu verstehen, warum wir uns in Deutschland mit diesem Wandel noch schwertun, lohnt ein Vergleich mit den USA. Dort herrscht eine fundamental andere Mentalität in Bezug auf Arbeit und Sicherheit.
Deutschland: Sicherheit als höchstes Gut
Hier ist der Arbeitsvertrag oft identitätsstiftend. Eine Kündigung – ob selbst gewählt oder erhalten – wird oft als persönliches Scheitern oder soziale Unsicherheit empfunden. Das Stigma der „Lücke“ entsteht aus der Angst vor dem Statusverlust.
USA: „You’re Fired“ ist kein Weltuntergang
In den USA ist der Arbeitsmarkt durch „At-Will Employment“ extrem flexibel. Kündigungsschutz existiert kaum. Das klingt hart, hat aber eine Kehrseite, die Innovation fördert:
- Normalisierung: Da fast jeder einmal gefeuert wird oder kündigt, gibt es kaum ein Stigma. Es gehört zum „Game“.
- Risikobereitschaft: Wer scheitert, steht auf und macht weiter. Ein Gründer, der eine Firma in den Sand gesetzt hat, gilt in den USA oft als erfahrener als einer, der es nie versucht hat.
- Trial & Error: US-Karrieren sind oft Patchwork-Decken. Man probiert sich aus. Diese Mentalität schwappt langsam zu uns herüber: Scheitern ist keine Schande, sondern eine Datenquelle für den nächsten Erfolg.
Was genau ist eine Portfolio-Karriere?
Der Begriff geht über bloßes Job-Hopping hinaus. Eine echte Portfolio-Karriere bedeutet, dass man seine Arbeitskraft nicht mehr nur einem Arbeitgeber zur Verfügung stellt, sondern seine Fähigkeiten wie ein Investment-Portfolio diversifiziert.
Das kann verschiedene Formen annehmen:
- Der Slasher: Jemand, der gleichzeitig arbeitet als Berater / Autor / Speaker.
- Der Projekt-Nomade: Arbeitet intensiv für 18 Monate an einem Projekt, nimmt dann 3 Monate Auszeit, dann das nächste Projekt.
- Der Hybride: Teilzeit-Angestellter und nebenberuflicher Gründer.
Wichtig: In einer Portfolio-Karriere ist die „Lücke“ im Lebenslauf keine Leere. Sie ist oft die Zeit, in der man sich neu erfunden, weitergebildet oder schlichtweg Energie getankt hat, um im nächsten Job 100% geben zu können.
Fazit: Mut zur Lücke
Für Bewerber bedeutet das: Verstecken Sie Ihre Brüche nicht. Erzählen Sie die Geschichte dahinter. Erklären Sie, was Sie in der „Lücke“ gelernt haben und warum der Wechsel notwendig war, um zu wachsen.
Für Unternehmen bedeutet das: Wer Innovation will, darf keine aalglatten Lebensläufe suchen. Die spannendsten Talente sind oft die mit den Ecken und Kanten im Profil.
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